1. Fakten in der Ausgangslage
Bis vor kurzem wurde die Zinslosigkeit von Anlagen im Geldvermögen (Sparbuch, Festgeld- und Termingeldanlagen, Sparbriefe, Anleihen usw.) als vorrübergehendes Phänomen betrachtet.
Aktuell wächst jedoch die Erkenntnis, dass auf absehbare Zukunft – vielleicht sogar auf Jahrzehnte – nicht mit Zinsen auf Geldvermögensanlagen gerechnet werden kann.
Vielmehr ist zu befürchten, dass auch für private Anleger negative Zinsen immer häufiger zur Realität werden. Die letzten öffentlichen Aussagen des früheren EZB-Chefs Mario Draghi bestätigten diese traurige Aussicht in überraschend klarer Weise.
2. Dramatisierung durch Finanzpornografie
Zwar soll die trübe Faktenlage nicht beschönigt werden. Jedoch sind aktuell nicht nur die Zinsen niedrig bis negativ. Sondern auch die Inflationsrate ist ungewöhnlich niedrig.
Denken Anleger korrekt in realen statt nominellen Renditen, so orientieren sie sich also an der ausgewiesenen Verzinsung abzüglich der Inflationsrate. Überdies sollte man bedenken, dass Zinseinkünfte ungeachtet der Inflation voll steuerpflichtig sind.
So gesehen, haben Anleger seit dem zweiten Weltkrieg mit verzinslichem Geldvermögen nur in knapp einem Drittel aller Monate eine positive Realverzinsung erzielt. Jedoch in knapp zwei Dritteln reale Verluste erlitten.
Die aktuellen Realverluste sind also keineswegs neu. Nur werden sie aufgrund der fehlenden Nominalzinsen leichter sichtbar. Und nicht mehr durch die Geldillusion, also die fälschliche Orientierung an nominellen Größen verdeckt.
Zudem wird die unbefriedigende Renditesituation durch die Finanzpresse sowie Anbieter „alternativer“ bzw. „exotischer“ Anlagen medial dramatisiert und aufgebauscht. Was in der Fachwelt unter der Bezeichnung „Finanzpornografie“ bestens bekannt ist.
Zugleich haben die Anbieter kostenintensiver und intransparenter Produkte eine verwirrend große Anzahl mit noch stärker verwirrendem Variantenreichtum zur „Lösung“ des Anlageproblems parat. Was für ein Zufall!
3. Anlageklassen und Anlagevehikel
Jedoch war Angst und Ratlosigkeit noch nie ein guter Ratgeber. Und wer zwischen Anlageklassen einerseits und Anlagevehikeln andererseits unterscheiden kann, erkennt schnell: Die seitens der Finanzindustrie geschaffene Komplexität und Kundenverwirrung ist hausgemacht.
Zwar gibt es in Deutschland weit über eine Million zum Vertrieb zugelassene Anlagevehikel, die um die Gunst – besser gesagt – um das Geld der Privaten werben. Diese stellen jedoch nur „Verpackungen“ dar.
Die bestenfalls den Marktzugang für den Anleger erleichtern und die Anlage für ihn „stückeln“. Jedoch keine eigene Rendite generieren. Sondern mehr oder minder hohe Kosten verursachen. Und im schlimmsten Fall zusätzliche Risiken bewirken.
Dem steht nur eine Handvoll Anlageklassen gegenüber, in die das Geld letztlich investiert werden kann.
Konkret sind dies
– Geld (Bargeld sowie Buchgeld)
– Anleihen
– Aktien
– Gold, Edelmetalle, Rohstoffe
– Immobilien und Grundbesitz sowie
– Exotische Sachanlagen (wie Schmuck, Kunst, Oldtimer, wertvolles Porzellan, Rotwein).
Sieht man von den exotischen Anlagen ab (die in der Regel nur für wenige Investoren mit besonderen Vorlieben und Sachkenntnissen geeignet sind), so bleiben nur fünf Anlageklassen. Von denen grundsätzlich nur drei eine laufende Rendite erzeugen (nämlich Anleihen, Aktien und Immobilien).
In der aktuellen Nullzinswelt fallen die Anleihen auch noch als renditebringende Anlageklasse weg (zumindest in der Eurozone). Da waren es nur noch zwei – nämlich Aktien und Immobilien.
Hieran ändert sich auch nichts, wenn täglich neue Anlagevehikel mit wohlklingenden Namen geschaffen werden. Die letztlich nur Hüllen darstellen und eine Anlageklasse oder eine Kombination von mehreren „einpacken“.
4. Auf die Art der Risikomessung kommt es an
Kluge Investoren hinterfragen jedoch nicht nur die vordergründige Rentabilität von Anlagen und fokussieren die Realverzinsung nach Steuern. Sie hinterfragen auch die Definition von Risiko.
Die aktuell zinslosen Anlagen im Geldvermögen gelten gemeinhin als risikoarm, da sie – abgesehen von Inflationsverlusten – nicht oder nur gering im Wert schwanken. Das ist zwar „common sense“. Jedoch trotzdem unrichtig bzw. trivial.
Denn messe ich eine auf Geldeinheiten lautende Forderung (Geldschein, Bankguthaben, Anleihe) in eben diesen Geldeinheiten, ist ein Risiko schon definitionsgemäß ausgeschlossen.
Hingegen gibt es bei Anlagen im Sachvermögen zwangsläufig Kursschwankungen, da Preise bzw. Werte der Sachanlagen stets in Einheiten des Geldvermögens umgerechnet werden. Wodurch im Zeitablauf abweichende Wertangaben in Einheiten der Messbasis entstehen.
Ein kleines Gedankenexperiment soll diesen Zusammenhang und die Fragwürdigkeit des oben genannten Risikoverständnisses aufzeigen.
Würde man den Wert von Aktien oder Immobilien im ältesten Geld der Welt, nämlich dem Ur-Geld „Gold“ messen, so ergäben sich ganz andere Wertentwicklungen als wenn man alle Preise auf Euro bezieht.
Und auch unsere Heimatwährung würde – gemessen in Gold – schwanken – wäre also plötzlich überhaupt nicht mehr sicher.
Aus Sicht eines deutschen Anlegers lohnt es sich also, zu hinterfragen, ob es so sinnvoll ist, Risiko ausschließlich als Schwankung von Werten – gemessen in der nominellen Größe Euro – zu definieren.
Dies umso mehr, als es sich bei Inflation um ein sogenanntes „Deep Risk“ handelt. Also ein Risiko, welches sich – ganz entgegen einer Kursschwankung – nicht im Zeitablauf von selbst wieder beseitigt. Sondern über die Zeit noch weiter verstärkt. Und damit den Anlageerfolg nachhaltig gefährdet oder sogar vernichtet.
5. Konkrete Empfehlungen
Die Nullzinswelt bietet Investoren die große Chance, ein überkommenes Verständnis vom Anlagerisiko zu überwinden. Das Streben nach nominellem Kapitalerhalt oder nominellen Renditen unterliegt dem Fehler der Geldillusion und ist daher unzweckmäßig.
Stattdessen sollte der reale Kapitalerhalt oder eine Vermögensmehrung nach Steuern angestrebt werden. Dies ist in der aktuellen Nullzinswelt lediglich mit Sachvermögen, insbesondere den beiden Anlageklassen Aktien und Immobilien denkbar.
Wertschwankungen der Sachanlagen – gemessen in der Heimatwährung des Investors – werden von diesem zwar meist als negativ erlebt. Sie sind jedoch unvermeidlich und meist vorüberkehrend.
Ganz im Gegensatz zum Inflationsrisiko, welches ein dauerhaftes und nachhaltiges Risiko (Deep Risk) darstellt.
Zudem lassen sich solche Wertschwankungen durch Streuung der Anlagen erstens über verschiedene Anlageklassen hinweg als auch innerhalb einer Anlageklasse relativieren.
Schluss
Nur wer Geldillusion vermeidet, sein Risikoverständnis den heutigen Rahmenbedingungen anpasst, einen hohen Sachvermögensanteil zulässt und die nach kluger Streuung verbleibenden Kursschwankungen akzeptiert, wird in der Zukunft noch reale Vermögenszuwächse erzielen können.
Alle anderen müssen ihrem Geld beim Schrumpfen zuschauen. Und werden „mit Sicherheit“ arm.
Herzliche Grüße,
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Mehr zu Prof. Dr. Hartmut Walz:
Prof. Dr. Hartmut Walz ist ein führender Verhaltensökonom und Entscheidungsexperte. Er lehrt Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Verhaltensökonomie, Anlegerverhalten (Behavioral Finance) und Bankbetriebslehre an der Hochschule Ludwigshafen a. Rh. und ist Autor mehrerer Fachbücher sowie des Hartmut Walz Finanzblog. Walz hat sich der neutralen und unabhängigen Information für Privatanleger verschrieben. Er hält Vorträge, engagiert sich ehrenamtlich und klärt mit Klartext auf. Ganz neu erschienen ist sein TaschenGuide “Ihre Finanzen fest im Griff – erfolgreiche Geldanlage und Vorsorge in der Nullzinswelt” bei HAUFE.
Fotos: Haufe Verlag und Prof. Dr. Hartmut Walz privat